Als ich jung war,

fiel es mir schwer zu sprechen.

Oft stand ich wie versteinert da

und konnte keine Reaktion zeigen.

Ich stand auch wie versteinert,

als die Taliban meinen Vater

aus dem dritten Stockwerk eines Gebäudes stießen.

Ich war damals sechs Jahre alt und lebte mit meiner Familie in der Provinz Ghazni. Insgesamt waren wir sieben Geschwister, vier Brüder und drei Schwestern, und ich war das vierte Kind. Ich weiß bis heute nicht, was die Umstände von Vaters Tod waren. Mit einigen Schafen rannte ich in die Berge. Erst, als ich eine Stelle fand, wo mich keiner sehen konnte, konnte ich zu weinen anfangen. Mein Vater lag im Koma, doch sein Grabstein wurde bereits geschliffen. Nach drei Monaten erwachte er entgegen aller Erwartungen aus dem Koma, aber er hatte sein Gedächtnis verloren. Meine Mutter gab mir etwas Geld, damit ich nach Iran zu meiner Tante gehen konnte. Dort sollte ich eine Therapie anfangen, um Sprechen zu lernen. Da war ich sieben.

Seitdem sind zehn Jahre vergangen

und ich habe meine Eltern nicht mehr gesehen.

Mein größter Wunsch ist es,

meine Mutter noch einmal zu sehen,

ihr in die Augen zu schauen und sie zu fragen,

warum sie mich in so frühen Jahren wegschickte.

Mein Wunsch ist es,

dass meine Mutter mich anschaut

und mich ihren Sohn nennt.

Ich denke nachts manchmal darüber nach, aber finde keine Erklärung. Es gibt nun mal Dinge, für die es keine Erklärung gibt. Mit sieben Jahren lebte ich also in Iran, konnte aber die Schule nicht besuchen, weil ich keinen richtigen Ausweis besaß. Ich war im Bau beschäftigt, Kachelarbeit war meine Aufgabe, und nachts schlief ich im Gebäude. Ich arbeite dort fünf Jahre, aber fürchtete mich die ganze Zeit, weil ich keine legalen Papiere besaß und man mich deshalb verhaften und ausweisen könnte.

Schließlich erfuhr ich, dass ich nach einem sechsmonatigen Militäreinsatz in Syrien die iranische Staatsbürgerschaft erhalten und in Iran bleiben könnte. Ich habe es gewagt und bin nach Syrien gegangen, wo ich und andere der Regierung halfen, gegen den IS zu kämpfen. Ich musste sehr vieles sehen und ertragen. Einen Bombenregen, der über die Stadt fiel. Zerstörte Mauern. Vor meinen Augen starben Menschen, floss viel Blut. Bis heute habe ich Alpträume und kann das, was geschehen ist, nicht vergessen und nicht darüber sprechen. Ich weiß noch genau, dass wir siebzehn Jungs waren, die nach Syrien gingen und gegen den IS kämpften. Drei Monate hielt ich es dort aus, aber für sechs Monate fehlte mir die Kraft.

Von siebzehn jungen Männern kehrten

nur drei lebend nach Iran zurück,

alle anderen sind in Syrien gefallen.
Mir war klar geworden,

dass es nur eine Frage der Zeit wäre,

bis ich selbst im Krieg fallen würde.

Ich wäre zwar ein Märtyrer geworden,

aber der Wille, am Leben zu bleiben, war stärker.

In Iran beschloss ich, perspektivlos wie ich war, mich auf den Weg nach Europa zu machen, nach Deutschland, wo es nur besser werden konnte. Auf dem gesamten Weg begleitete mich mein Cousin, der schon länger vorgehabt hatte, nach Europa zu fliehen. Die Entscheidung fiel in einer Nacht sehr spontan. Ein Schlepper nahm uns in seinem LKW mit in Richtung Türkei. Die Grenze überquerten wir zu Fuß. Wir hielten uns eine Woche lang in der Türkei auf, bis wir das Wasser erreichten. Wie schon so viele vor uns, stiegen wir in Schlauchboote und versuchten Griechenland zu erreichen. Beim ersten Versuch schickte die Wasserpolizei uns wieder zurück. Zwei Nächte später wagten wir einen erneuten Anlauf. Wir näherten uns Athen und es kam zu einem Unfall, der vieles veränderte. Unser Schlauchboot stieß gegen eine Klippe und ein Riss begann sich auszubreiten. Zum Glück wurden wir von einem großen Schiff entdeckt und an Bord genommen.

Sie retteten unser Leben und brachten uns auf jene Insel, wo auch alle anderen Flüchtlinge untergebracht wurden. Jeder bekam ein Dokument, das ihm die Weiterreise ermöglichte. Mit diesem Ticket fuhren wir nach Mazedonien, danach Richtung Bulgarien und von dort aus nach Österreich, später dann nach Deutschland. Wir wussten nicht genau, wo es hinging mit dem Bus, bis man uns sagte, wir hätten Berlin erreicht. Das war 2015. Anfangs lebte ich in der Heerstraße mit 100 anderen Menschen in einer Jugendherberge und es war für mich nicht einfach. Wir bekamen zwar Essen, aber manchmal war es alt und vertrocknet. Sechs Monate lebte ich dort. Mein einziges Ziel während dieser Zeit war es, an meiner Stimme zu arbeiten, und ich danke Gott dafür, dass ich mit meiner Betreuerin einen Psychologen fand und Sprachtraining erhielt. Langsam konnte ich wieder besser sprechen und ich gewann mit dem Sprechen einen Teil meines Ichs zurück.

Da ich in meiner Heimat nicht Lesen und Schreiben gelernt hatte, war ich sehr glücklich darüber, in Deutschland die Schule zu besuchen. Ein neuer Weg, der mir vieles in der Zukunft ermöglichen wird. Aber nicht alles verlief immer so, wie ich es mir wünschte. Eines Tages wurde ich vom Verwaltungsgericht einbestellt und wurde dort interviewt.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich

noch nie von meinem Aufenthalt

in Syrien gesprochen, ich hatte Angst.

Ich fürchtete, dass ich wieder nach Syrien,

Iran oder Afghanistan zurück

und erneut um mein Leben fürchten müsste.

Ich erhielt eine Ablehnung

und die schlechten Erinnerungen

an den Krieg wurden wieder stärker,

so stark, dass ich mich in

psychologische Behandlung begeben musste.

Doch ich stellte fest, dass es hier für jedes Problem eine Lösung gibt. Vieles, was ich nicht für möglich gehalten hatte, wurde möglich durch die Hilfe, die ich bekam. Heute besuche ich die neunte Klasse und kann ab nächstem Jahr eine Ausbildung beginnen. Außerdem nehme ich nun an einer Gesangs- und Theatergruppe teil, wir haben eine Vorstellung in der alten Tischlerei bei der Deutschen Oper gegeben. Das Schöne an dieser Gruppe ist, dass es nicht nur Afghanen sind, die mitwirken, sondern auch Menschen aus anderen Teilen der Welt, wie zum Beispiel Amerikaner, Osteuropäer, Afrikaner und Araber. Ich habe einen Solopart in der Vorstellung und schaffe es immer wieder ohne zu stottern meinen Part vorzusingen. Ich bin sehr stolz, ein Teil dieser Gruppe zu sein.

Natürlich habe ich vor, eines Tages hier zu heiraten. Ich verstehe mich gut mit Mädchen, hatte schon drei Freundinnen. Mir ist es nicht wichtig, woher sie kommt, sondern ob sie freundlich ist und wie ich den Wunsch hat eine Familie zu gründen. Gerne möchte ich früh eine Familie und Kinder haben und wenn ich Arbeit finde, wird es auch möglich sein.

Gerne möchte ich mit älteren Menschen arbeiten. Ich möchte mich an der Gesellschaft beteiligen und hasse es, außen zu stehen. Wenn ich Geld habe, werde ich meiner Familie und meinen Freunden helfen, ich spare schon jetzt und helfe so gut ich kann. Meine eigene Familie zu gründen ist mein größter Wunsch.