Es ist der neunte Monat, ich befinde mich in den letzten Tagen meiner Schwangerschaft. Sehnlichst warte ich auf die Geburt meiner Tochter, bin bereits im Krankenhaus registriert. Ich kann sie fühlen, ich spreche in Gedanken zu ihr.

Wir hatten es nie sehr leicht in Deutschland, eine erste Ablehnung haben mein Mann und ich bereits bekommen. Auf unseren Widerspruch hin wurde eine zweite Anhörung vor dem Verwaltungsgericht gewährt, aber ich hatte die Befürchtung, dass wir wie im letzten Jahr eine Absage erhalten würden und diesmal das Land verlassen müssten. Wir warten bis heute auf eine Antwort.

In meiner Heimat Kunduz habe ich nie das Lesen und Schreiben lernen können. Vielen Frauen in Afghanistan geht es genauso, es wird ihnen verboten. Mein Vater war beim Militär und bekam große Probleme mit den Taliban, wodurch er gezwungen war, über lange Phasen zu Hause zu bleiben. Wir standen uns sehr nah. Ich habe vier Brüder, von denen keiner mehr in Afghanistan lebt. Sie sind verstreut in verschiedenen Regionen: Pakistan, Iran, einer lebt in Europa.

Mit vierzehn habe ich geheiratet, meinen Cousin, er ist acht Jahre älter als ich. Er arbeitete als Bauer auf einem Reisfeld und war ebenfalls Analphabet. Wir hatten große Angst vor den Taliban, die das Gebiet beherrschten, weshalb mich mein kranker Vater schließlich bat, das Land zu verlassen. Er wollte nicht, dass wir weiterhin in diesem gefährlichen Gebiet lebten, wo wir schlechte Zukunftsaussichten gehabt hätten. Schließlich haben wir es geschafft zu fliehen, Ende 2014 war das. Am 20. Dezember 2015 erreichten wir nach vielen Stationen Deutschland, zusammen mit unseren vier Kindern.

In Berlin zogen wir dann von Heim zu Heim. Ich wurde schwanger und gebar 2016 eine Tochter, bald darauf folgte eine weitere Schwangerschaft. Es ist nicht leicht mit fünf Kindern im Heim, mein Mann und ich waren völlig überfordert mit der Situation. Schließlich wurden wir in einen Container auf dem Tempelhofer Feld umgesiedelt. Im Winter war es sehr kalt dort und im Sommer viel zu heiß, doch wir schöpften etwas Hoffnung, weil unsere Kinder zur Schule gehen und Deutsch lernen konnten. Anders als mein Mann und ich würden sie Lesen und Schreiben lernen können und sich eine gute Zukunft aufbauen.

Ich weiß nicht, ob es die schlechten Bedingungen waren, in denen wir lebten, die Hitze im Juni 2018. Jedenfalls war ich im vierten Monat schwanger, als ich mein Kind verlor. Unaufhaltsam ging das Leben um mich her weiter, während ich mich in eine Therapie begab. Wir bekamen die Möglichkeit, in ein besseres Heim zu ziehen und fanden für meine jüngste Tochter einen Kindergartenplatz. Ich wurde erneut schwanger.

Es ist der 23. März 2019. Eine letzte Sonographie soll vor der Geburt stattfinden. Die Ärztin setzt den Ultraschallkopf an, fährt damit wieder und wieder über meinen Bauch, doch nur mein eigener Herzschlag ist zu hören. Das Herz des Ungeboren hat aufgehört zu schlagen.

Ich will es nicht glauben, kann es gar nicht. Ich soll möglichst schnell ins Krankenhaus fahren und mein totes Kind gebären, sagt die Ärztin. Tot. Meine Tochter, die ich neun Monate in meinem Bauch getragen habe. Meine Tochter, mit der ich geredet habe. Tot. Von Ferne höre ich mich selbst schreien, dann wird es schwarz um mich.

Zwei Tage dauert es, bis mein Baby zur Welt kommt. Die Hebamme legt mir den kalten Körper zum Abschied auf die Brust. Vergeblich warte ich darauf, dass mein Kind zu schreien beginnt, warte, bis mich ein tiefer Schlaf überfällt. Im Traum erscheint mir meine Mutter, die ebenfalls eine Tochter verloren hat. Die ihren Mann sterben sehen musste, all ihre Söhne die Heimat verlassen. Meine alten Nachbarn aus Afghanistan erscheinen mir, die ihre Kinder durch die Taliban verloren haben.

Schwarz ist zu meiner Farbe geworden. Einen Aufenthaltstitel haben wir nicht. Meine Kinder kann ich kaum noch ansehen. Wie soll es nur weitergehen?