Die Sache mit Tamina und Tahwab ist jetzt lange her, sie geschah in meiner Heimatstadt Mazar-e-Sharif. Man erzählt sich die Geschichte noch heute.

Tamina studierte Jura, wie Tahwab. Die beiden lernten sich zu einer Zeit kennen, als Männer und Frauen gemeinsam studieren und dieselben Seminare besuchen durften. Tamina lebte in einem kleinen Haus mit ihren Eltern. Ihr Familienname war derselbe wie meiner: Hataki. Sie war groß, sehr begabt, hatte offene, lange schwarze Haare und trug schöne bunte Kleider. Damals war Tamina 24 Jahre alt, und niemand wusste von ihrer Liebe zu Tahwab. Tahwab war zwei Jahre älter. Er wollte sie heiraten, bevor jemand von ihrer Beziehung erfuhr. Aber Taminas Familie war nicht bereit, in die Heirat einzuwilligen. Zweimal hat Tahwab es versucht.

In unserem Land wird es als große Schande angesehen, wenn sich ein Mädchen in einen Jungen verliebt, sie befleckt damit den Namen ihrer Familie. In Afghanistan gilt der Name einer Familie alles und ihr Ruf ist von größter Bedeutung. Tamina und Tahwab beschlossen also eines Nachts, nach Pakistan zu fliehen. Sie wollten ein ganz neues Leben beginnen, allein und weit weg von ihrer Familie. Aber geht das überhaupt? Wenn Tahwab und Tamina nicht geflohen wären, wären sie von Taminas Familie womöglich getötet worden oder wären ins Gefängnis gekommen, denn ein Mitstudent der beiden hatte von ihrer Beziehung erfahren – und er hatte Taminas Familie davon erzählt. Durch Tamina und Tahwab und wie die Menschen über ihre Liebe sprachen, habe ich gehört, was die Liebe ist. Ich war damals noch ein Kind. Und ich verstand nicht, was mahschuck, liebestoll – wie die Leute in meinem Land sagen – bedeutet.

Bis dahin hatte ich ein einfaches Leben geführt. Ich hatte nur meinen Vater und meine Mutter geliebt. Was Liebe oder Leidenschaft noch bedeuten kann, wusste ich nicht. Jeden, den ich wegen seiner Liebe weinen sah, habe ich ausgelacht und aufgezogen. Ich sagte dann immer, dass es eine solche leidenschaftliche Liebe doch nur in Filmen und in Büchern gibt. Da konnte ich noch nicht ahnen, dass mir das eines Tages selbst passieren würde.

Bevor ich meine Flucht antrat, wusste ich, dass man sich in Europa auf eine andere Weise verliebt als bei uns. Mädchen und Jungen können sich in Europa sehr einfach treffen und miteinander ausgehen. Sie sind für eine Weile zusammen und trennen sich vielleicht wieder. Ich kannte das ja aus Büchern und Filmen. Und manchmal fragte ich mich, wie es wohl wäre, wenn ein Junge wie ich aus Afghanistan nach Europa kommt. Würde sich ein Mädchen für mich interessieren? Oder würde mich keine anschauen? Hätten die Mädchen Angst, weil ich ein Flüchtling bin? Es hat lange gedauert, bis ich ein Mädchen kennenlernte. Nun kann ich die Geschichte erzählen.

Als ich sie an einem Frühlingstag sah, hatte ich das Gefühl, ich würde sie schon lange kennen. Ich habe sie bei einer Veranstaltung getroffen, auf der ich meine Gedichte vortrug. Sie war mit ihrer Klasse gekommen, in Begleitung ihrer Freundinnen. Nach einigen Tagen fragte ich meinen Freund nach ihrer Nummer. Er hatte auf der Veranstaltung Fotos gemacht und sie den Mädchen per Handy geschickt. Sie antwortete sofort. Seitdem schrieben wir uns fast drei Monate lang Nachrichten. Dann trafen wir uns zum ersten Mal.

Ihr verliebtes Gesicht war das schönste Gesicht, das ich in meinem Leben gesehen habe. Ihre Stimme war die schönste Stimme, die ich in meinem Leben gehört habe. Die Liebe zu ihr war das schönste Gefühl, das ich in meinem Leben erlebt habe. Die Zeit mit ihr war die schönste Zeit meines Lebens. Sogar das Warten auf sie war das schönste Warten meines Lebens.

Wir waren sieben Monate zusammen. Für mich waren es keine sieben Monate, sondern sieben Jahre. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass eine solche Liebe enden kann. Bis sie mir eines Tages schrieb, dass sie nicht mehr meine Freundin sein wollte. Für einen Moment verlor ich tatsächlich das Bewusstsein, und als ich wieder erwachte, habe so viel geweint und geklagt, dass ich jetzt nicht weiter weinen und weiter klagen kann. Man sagt, dass Liebe und Leidenschaft wie ein starker Sturm sind.

Wenn der Sturm ausbricht, werden Bäume entwurzelt. Und wenn du sehr verliebt bist und eine Person mehr liebst als alles andere, geht auch die Liebe selbst verloren. Bäume, die von der Natur verletzt werden, können sich wieder erholen. Aber Menschen, die Schmerzen erfahren haben, können das nicht so leicht. So wie ich, der ich nicht wieder zurück ins Leben finde.

Ich habe dich gebeten, mich nochmals zu sehen.
Aber du bist nicht gekommen.
Ich habe dich gebeten, noch einmal deine Stimme zu hören.
Doch du sprachst kein Wort.
Ich wollte deine Hand noch einmal in meine nehmen.
Doch meine Hand blieb leer.

Mein lieber Gott.
Wieder schreibe ich.
Wieder beschwere ich mich.
Wieder gieße ich Tränen
vor den Füßen der Menschen aus,
die mich allein gelassen haben.
Du hörst mich.
Aber du antwortest nie.
Ja, du bist immer neben mir.
Aber warum lässt du zu,
dass ich so einsam bin?

Langsam verstehe ich die Worte, die sie mir gesagt hat. Erinnerst du dich? Der Tag, an dem sie für immer von mir weggehen wollte und mir sagte: „Ich liebe dich nicht mehr.“ Nur du allein, Gott, kannst das, einsam sein. Auch ich bin allein auf diese Welt gekommen, und ich werde allein von dieser Welt gehen müssen. Aber es ist ein anderes Alleinsein, wenn du verlassen wirst. Wenn sie traurig war, war auch ich traurig. Wenn sie glücklich war, war auch ich glücklich. Nun überlasse ich sie dir. Sitz bitte immer neben ihr. Wie ich es getan habe. Ich liebe sie. Lieber Gott, liebe sie bitte nicht nur, wie ein Gott einen Menschen liebt.
Sondern auch so, wie ich sie liebe.

An dem Tag, an dem mich meine Liebe verließ, die erste meines Lebens, rief mich mein Vater in Afghanistan an. Er sagte: „Ich habe dir viel von der Liebe erzählt, aber ich habe dir nicht erzählt, wie sich die Liebe anfühlt. Jetzt kann ich nicht in deiner Nähe sein, sodass ich mein Herz mit deinem Herzen tauschen könnte.“ Ich sagte ihm: „Legtest du nur deine Hand auf meinen Kopf, führest du nur durch mein Haar, wie du es immer tatest, ich könnte mich beruhigen.”