Auf einem weißen Teller in der Mitte des Tischs liegt eine Banane. Gelbbraun, kurz vor dem Verfaulen. Sie ist weder groß noch klein, eine gewöhnliche Banane mit Stiel. Die Banane ist mit Flecken und kleinen Pünktchen besprenkelt. Ein schwarzer Fleck in ihrer Mitte sieht aus wie ein schwarzes Auge. Bananen gelten als Phallussymbol, geht mir durch den Kopf, während ich auf die Banane gucke.
Doch manchmal ist eine Banane nichts weiter als eine Banane, die ein Gorilla im Zoo einer Großstadt essen würde. Denn nur in Großstädten gibt es Zoos. Meine Stadt ist zu öde und klein, da gibt es keinen Zoo. Aber in der Nähe, in Charkiw gab es einen Streichelzoo, der nun zerbombt ist. Bomben fielen auch auf meine Stadt. Eine Rakete schlug in der Nacht ins Nachbarhaus meiner Schwester ein. Sie erzählt davon, frühmorgens am Telefon, sie war auf den Balkon gegangen, um sich das Feuer anzuschauen. Auch ihr Bett habe gebebt.
Ich höre den Luftalarm nicht, den meine Schwester hört. Ich sehe nicht die Schlangen vor den Bankautomaten, ich erinnere mich nur an welche. Aber ich stelle mir vor, wie am Theater die Kastanienbäume blühen, wie ich mit meiner Schwester ins Café gehe. Sie sagt ja, dass es möglich sei. Sie geht jeden Tag raus. Ich jedoch hätte Angst vor den Raketen, Angst vor dem Luftalarm. Ich hätte Angst, im Hier und Jetzt zu leben. Meine Stadt ist in meiner Vorstellung durch den Krieg zerstört worden. Aber meine Schwester lebt dort ohne Angst. Sogar jetzt, während des Krieges, hält sie Diät und steigt jeden Morgen auf die Waage. Ihre Diät besteht aus einer Banane am Tag.
Genau so eine, wie die, die gerade auf dem Teller vor mir liegt, in Berlin.