Ich lebte im Iran, als Afghane. Als Flüchtling. Der Traum von jedem afghanischen Flüchtling im Iran ist es, ein Haus zu besitzen und ein Auto und eine große Familie. Ich wollte im Iran dürfen, was andere Menschen dort dürfen: Etwas lernen. Studieren. Leben wie ein Iraner. Denn für uns Afghanen gibt es dort Regeln. Es sind schwierige Regeln. Regeln, die fast niemand erfüllen kann:

Du musst einen iranischen Chef haben, um eine SIM-Karte zu bekommen.
Du musst verheiratet sein, um einen Führerschein zu machen.

Es ist ein System, in dem du dich unterwerfen musst. Du bist ohne Mittel. Du hast keine Rechte.

Wenn man genug Geld hat, kann man nach Afghanistan gehen, um dort zu heiraten. Um zu heiraten, braucht man 1 Millionen Afghani. Das sind 2000 Euro. Das ist sehr viel Geld. Dann kann man eine Braut finden. Um so viel Geld zu verdienen, vergehen fünf Jahre. Die Männer kehren dann gleich nach der Heirat wieder zurück. Sie arbeiten dann wieder, bis sie genug Geld haben, um ein Kind zu bekommen.

Denn in Afghanistan gibt es keine Arbeit. Dort musst du Tomaten klauen. Und Wassermelonen klauen. Um zu essen.

Männer verschwinden einfach in Afghanistan. Familien verschwinden in Afghanistan. Neulich sah ich einen Film, in dem eine Familie in Afghanistan umgebracht wurde. Weil der Vater 100 Euro schuldete und sie nicht bezahlen konnte. Fünf Menschen.

Ich war 13, als ich ging. Eigentlich wollte mein älterer Bruder gehen. Wir diskutierten. Wir stritten. Ich stand vor der Tür; mein kleinerer Bruder sagte plötzlich, dass auch er gehen würde. Er war zehn. Winzig. Ich habe ihm eine geklatscht. Mutter hat das mitbekommen. Dann hat sie mir eine geklatscht.

Die Wahl fiel auf mich. Weil ich dieses Leben nicht führen wollte, das mein Vater führte. 20 Jahre hat er in der Fabrik gearbeitet und giftige Plastiktextilien zerkleinert, um neue giftige Textilien aus Plastik herzustellen. Die Dämpfe steigen in die Augen, in die Nase, in die Kleider. Sie kriechen in deine Haut und vergiften dich von innen.

Was hatte mein Vater davon? Mit 36 Jahren war er ein Wrack.

Warum sollte ich arbeiten, wenn ich nichts dafür bekam? Ich wollte einen anderen Weg gehen. Im Iran musst du alles machen, wenn du Geld brauchst. Plastikflaschensammeln. Sollte das meine Zukunft sein?

Die Wahl fiel auf mich. Weil der Schmuggler sagte, ich hätte die besten Chancen. Ich wollte von Deutschland aus weiter in die Schweiz. Vielleicht nach Schweden? Da wäre es besser als in Deutschland, sagte der Schmuggler. Doch es war eine Frage der Kräfte. Ich blieb hier.

Ich will den deutschen Pass. Keinen afghanischen. Keinen iranischen. Bis heute habe ich keinen Pass. Ich will ihn nicht, um zu sagen, ich bin Deutscher. Für mich ist es ein Stück Papier. Ich will reisen. Der Pass heißt Freiheit und Geld. Der Pass heißt Familie. Der Pass heißt viele Sachen. Mensch sein, Rechte haben.

Wisst ihr, was es bedeutet, keine Rechte zu haben? Wenn du im Iran als Afghane die Polizei rufst, weil du bedroht wirst, wirst du selbst festgenommen.

Die Deutschen denken, sie sind etwas Besseres, weil sie einen Pass haben.
Aber auch ohne Pass ist man ein Mensch.