An meine ungeborene Tochter

Wenn ich die Geschichte der Einsamkeit satthabe,
schmückt dein Gesicht meinen Traum.
Dein Gesicht ist das Ergebnis meiner Existenz.
Die Hoffnung auf einen Kuss beruhigt mich;
Wenn du lachst, nimmst du mir meine Sorgen,
wenn du diese unsere Sprache sprichst,
meine wundervollste Kunst.
Der Gedanke an dich ist der Samen meiner Seele,
darum will meine Seele stets die deine.

Ja, Ala,
ich schreibe dir aus einer Zeit, die weit von dir entfernt ist.
Genauso weit bin ich entfernt auch von mir selbst. Vom Schatten der Jahrtausende.
Ich habe meinen Rücken an die Liebe gelehnt, in dieser Geste verweilt
der Gedanke an deine Geburt. So schön, so natürlich,
wie ein treuer Spiegel, den ich immer vor mir habe.
Dein Körper gleicht einem Schneeglöckchen.
Ich weiß, dass unsere Schatten sich noch nicht berührt haben.
Die Pforten der Höhlen, die sich nach dem Propheten sehnen,
haben sich uns noch nicht geöffnet, sind noch verhangen von Spinnweben.
Aus den Quellen der Zeit zwinkert uns kein Zeitreisender zu,
Parallelwelten sind für uns nicht von Belang.
Du hast nicht auf mich geschworen.
Ich bin es, der auf dein Herz geschworen hat.

Letztlich, das ist mir bewusst, bildet dein Geruch den Kern des Ewigkeitsbaumes,
deine Augen beherbergen das All. Schwarz.
Deine Stimme gibt meiner Seele einen Körper.
Der Körper ist ein Käfig, Klangkörper einer Melodie.
Ein Musiker fädelt mein Wehklagen durch eine Perlmuschel.
Ich weiß, dass dein Sehnen die Perlen zum Glänzen bringt, das Universum.
Ich weiß, dass ich morgen deine Hände festhalten und umhergehen werde.
In unserer eigenen, blühenden Heimat. Mit ruhigem Geist, gelassenem Herzen,
ziehe ich nun vorüber. Ich, das heißt, meine Gedanken an dein Ich. Wie schön.
Der Gedanke an dich ist der Samen meiner Seele,
darum will meine Seele stets die deine.

Ja, Ala,
ich habe meinen Rücken an das Geheimnis im Schutz der Sehnsucht gelehnt,
aber ich bin immer noch ein kurdischer Ehrenmann.
Auf dem steinigen Berg Tukh Manuks1 erwache ich neu zum Leben,
meine Wurzeln in den Zagrojan2 Bergen.
Ich denke immer noch an dich, im Angesicht von Asha3 und dem heiligen Buch der Existenz.
Nicht, dass am Ende meine Sorgen wie die Kaiserkrone werden. Veilchenblau. Und ich mache mir weiterhin Sorgen um dich. Du bist wie das kurdische Newrozfest meiner Heimat.
Du bist meine Heimat. Hoch am Himmel.
Mein Blut besiegelt dich am fernen Horizont.

Ich weiß nicht, warum ich aus dem wiederholten Traum gefallen bin und
gleichzeitig im Traum wiederholt falle.
Versteckte Angst.
Ich weiß nicht, wie viele Kleider ich gewechselt habe, um dein Vater zu werden?
Seit vielen Jahren bete ich für dich, jeden Tag.
Ich weiß nicht, wann ich mit deinen Augen aufwachen werde,
die Efrîn ähneln mit seinen Olivenhainen.
Warum wässere ich stets die Jasminpflanze auf dem Fensterbrett?
Und den Quittenbaum, der auf einem gepflügten Feld steht?
Und warum wässere ich die Freiheit, einsam in den Bergen?

Warum bin ich gefangen unter den Flügeln Kurdistans?
Wie alt mag sie sein, unsere Geschichte der Unterdrückung?
Unsere Geschichte, der kein Gedenkort gewidmet wurde.
Ala, was ist das für ein Umgang?
Wann wirst du mir sagen, was für eine Kraft
hinter all dem steckt, was für ein Geheimnis?

Wird meine Seele die deine unendlich wollen?

  • 1 ist ein in Armenien aus der vorchristlichen Zeit erhaltener Kult einer teils hilfreichen, teils böswilligen mythischen Figur in Gestalt eines Schwarzen Jugendlichen
  • 2 Zagros-Gebirge
  • 3 Gott der Gerechtigkeit/ Wahrheit im Zoroastrismus