Ukraine | Nadiia Kulish | 2023 Gedächtnisvermächtnis In meinem Gedächtnisvermächtnis steht dein Name ganz oben. Hab Mandarine und Minze getrocknet und einen Schlussstrich gezogen. Ich trug deinen Geruch, bis er weggespült wurde vom Regen.
Ukraine | Nadiia Kulish | 2024 Wie zu Hause Ein deutsches vierstöckiges Haus. Ein Gebäude aus der Gründerzeit in Berlin-Charlottenburg. Eine Zwei-Zimmer-Wohnung im zweiten Stock ohne Fahrstuhl. Unsere Sachen herzuschaffen war überhaupt nicht schwer, denn alles, was wir hatten, waren Kleidung und Schuhe, die uns netterweise ein Berliner überlassen hat, als wir noch bei ihm untergebracht waren.
Ukraine | Mykhailo Krasilnikov | 2024 Fremde Freundin Hallo, es fällt uns wieder schwer der Einstieg in den Dialog, unsre Bekanntschaft ist entfernt, und das ist nur ihr Epilog.
Ukraine | Nadiia Kulish | 2024 Verwurzelung in Reimen Mit der Explosionswelle des Krieges Wurde ich geschleudert in ein fremdes Land Ich bin ein Baum, an den Wurzeln ausgerissen, Und verrotte nun langsam, in einen engen Topf gebannt.
Ukraine | Anastasiia Dunaieva | 2024 Ich? Eine Grube Ich? Eine Grube in Großvaters Garten, darin Trockenlaub, zusammengescharrtes,
Ukraine | Mariia Kaziun | 2024 Unter Wasser Zeit. Raum. Zeit. Nacht. Punkt. Ort. Oberflächenspannung. Wasseroberfläche. Einatmen. Ich gehe. Straße. U-Bahn. Universität.
Ukraine | Mariia Kaziun | 2024 Deutsche Bahn Da sind wir nun. Das Warten, die Bewegung, die Zeit. Von Warschau bis hierher. Berliner Hauptbahnhof. Strahlende Gebäude, ein greller Horizont, der sich bald in Kopfschmerzen verwandeln wird.
Ukraine | Daria Py | 2023 Newsfeed Ich denke an Mamas Gesicht, Zu ihrem Bildschirm gewandt, in Alarmbereitschaft. Ihr Mund klafft, ihre stumpfen Augenbrauen Wachsen höher Und die Falten in ihrem Gesicht Drücken auf meine Augen.
Ukraine | Tetiana Hurba | 2023 Anapher für die Heimat Jede Nacht, wenn ich schlafe, gehe ich auf dich zu. Jede Nacht gehe ich durch mein Heimatland.
Ukraine | Natalia Kalova | 2023 An meinen Sohn Daniel, jetzt will ich dir erzählen, warum wir hier sind, in Berlin. Es war der 23. Februar. Damals, um 10 Uhr abends, erreichten uns erste Meldungen, dass etwas Bedrohliches bevorstand.
Ukraine | Mariia Kaziun | 2023 Zwei Arten der Liebe Weißt du, was Liebe ist? Nein, nicht Kochannya, die rotblütige Liebe zwischen Menschen, Die das unbändige Herz und den Körper unmittelbar eilen lässt Zu dem, der dein Licht ist.
Ukraine | Mariia Kaziun | 2023 Drei Impressionen Impression 1 Mildes Kaffeearoma, die Wärme hält noch an.
Ukraine | Iryna Omelyanchuk | 2023 Drei Worte Um 4.50 Uhr kommt der Anruf aus Kyjw. Der beste Freund meines Mannes. Wir wollen nicht abnehmen. Es klingelt weiter.
Ukraine | Nadiia Kulish | 2023 Rechts oder links Der Bahnhof, die Kinder, die kostenlose Suppe, die unzähligen Spielsachen, die Durchsagen, die Menschen in gelben Westen.
Ukraine | Nadiia Kulish | 2023 Nicht für den Krieg geboren Der Mantel der Mutter, aus Demut und Stärke, sie trägt ihn, ihr Sohn liegt jetzt unter der Erde.
Ukraine | Mykhailo Krasilnikov | 2023 Serenade für den Vater Im Unterricht lernten wir heut Alborade, sagt leise das Kind, eine Art Serenade. Freut mich, mein Kind, sagt seine Mama, bleib kurz sitzen und warte, ich pack noch zusammen.
Ukraine | Mykhailo Krasilnikov | 2023 Willst du Willst du mit mir ins Café? Willst du meinen Namen kennen? Willst du Schwäne sehn‘ am See?
Ukraine | Dmytro Krasilnikov | 2023 Wie gut es wäre Wie gut es wäre, mit voller Brust zu atmen, wie gut es wäre, sorglos zu leben, wie gut es wäre, würden die Menschen einander lieben, wie gut es wäre, wenn es wäre wie –
Ukraine | Dmytro Krasilnikov | 2023 Krieg macht entschieden Ich laufe durch die Stadt, gewohnt und vertraut überall. Einem Besucher gebe ich Rat, sein Gesicht ist fahl.
Ukraine | Anastasiia Dunaieva | 2023 Unmöglichkeit der Selbstgefälligkeit Berührung von gestickten Kreuzen Als Erinnerung an die Zugehörigkeit. Ich habe eine große Sehnsucht Nach ständigem Eintauchen in die Tiefe.
Ukraine | Anastasiia Dunaieva | 2023 Letzter Tag Letzter Tag vor dem Krieg Ich kann es nicht glauben, und doch weiß ich: „Das ist das Ende.“ Ich gehe darauf zu. Eine lange Brücke und ein Gespräch mit mir selbst.